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Berliner "Friedhof der Namenlosen" oder auch der "Selbstmörderfriedhof", als auch der "Berliner Schandacker"

Autorenbild: Mario DieringerMario Dieringer

Aktualisiert: 18. Dez. 2024



Berliner "Friedhof der Namenlosen" oder auch der "Selbstmörderfriedhof", als auch der "Berliner Schandacker" sind Begriffe die mit dem heutigen Verständnis über Suizide nichts mehr zu tun haben. #esheisstsuizid
Berliner "Friedhof der Namenlosen" oder auch der "Selbstmörderfriedhof", als auch der "Berliner Schandacker". #esheisstsuizid

Berlin, eine Stadt mit bewegter Vergangenheit, birgt viele historische Orte, die nicht nur durch ihre Architektur, sondern auch durch ihre Geschichten beeindrucken. Einer dieser Orte ist der sogenannte "Selbstmörderfriedhof," auch bekannt als der "Friedhof der Namenlosen" der sich im Grunewald-Forst im Jagen 135 am Schildhornweg befindet.

Ein Ort, der einst Menschen, die durch Suizid starben, eine letzte Ruhestätte bot, und der heute zum Nachdenken über die menschliche

Existenz, den Umgang mit Suizid und die

gesellschaftlichen Veränderungen anregt.


Ein Friedhof für die „Verstoßenen“

Der Name „Selbstmörderfriedhof“ trägt eine düstere Schwere in sich, die viel über den Umgang mit Suizid in früheren Jahrhunderten erzählt. In vielen Kulturen, auch in Deutschland, galt der Suizid lange Zeit als schwere Sünde. Die christliche Kirche verweigerte Menschen, die sich das Leben genommen hatten, eine Beisetzung auf geweihtem Boden. Sie galten als „Selbstmörder“, was nicht nur ein Begriff des Todes war, sondern auch ein Ausdruck von gesellschaftlicher Ächtung. Sie durften nicht inmitten derer ruhen, die eines natürlichen Todes gestorben waren.


Im Grunewald wurden jene bestattet, die sich das Leben genommen hatten – weitab von den regulären Friedhöfen, auf denen die „ehrbaren“ Toten begraben wurden. Der Friedhof lag am Rande der Stadt. Über die Jahrzehnte hinweg wuchs er zu einem stillen Mahnmal für all jene, deren Leben durch den Tod im Schatten der gesellschaftlichen Normen endete.


Vom Wasser angeschwemmt

In der Nähe des Friedhofs machte die Havel einst einen scharfen Bogen, wodurch es immer wieder vorkam, dass Wasserleichen an dieser Stelle ans Ufer trieben. Unter den Ertrunkenen befanden sich oft Menschen, die durch Suizid ihr Leben beendet hatten. So manche Magd, die vom Dienstherrn geschwängert wurde sprang damals verzweifelt in den Fluss. Im 19. Jahrhundert stellte ihre Bestattung eine besondere Herausforderung dar, da die christlichen Kirchen ihnen aufgrund ihrer sündigen Tat eine Beerdigung auf geweihtem Boden verweigerten. Die Verantwortung für ihre Beisetzung fiel daher der Forstverwaltung des Grunewalds zu.


Im späten 19. Jahrhundert traf die Forstverwaltung eine bedeutsame Entscheidung: Verstorbenen, die an den Ufern der Havel gefunden wurden, sollte eine letzte Ruhestätte in einer abgelegenen Waldlichtung gewährt werden. Eine der frühesten Aufzeichnungen, datiert auf den 22. Januar 1900, erzählt von der Beisetzung eines jungen Schlossergesellen, der im Alter von 22 Jahren sein Leben verloren hatte.

Diese ungewöhnliche Praxis verbreitete sich schnell, und immer mehr Familien, deren Angehörige durch Suizid ums Leben gekommen waren, suchten Unterstützung bei den Förstern, um ihren Verstorbenen eine angemessene Bestattung zu ermöglichen. Einige verzichteten sogar auf offizielle Anträge und beerdigten ihre Toten heimlich im Wald, um den strengen Regeln der Kirche zu entgehen.

Menschen, die beschlossen hatten, ihr Leben zu beenden, wählten diesen abgeschiedenen Ort, um ihrer Familie zusätzlichen Schmerz durch Streitigkeiten mit den Friedhofsbehörden zu ersparen. Die Waldlichtung wurde so zu einer letzten Ruhestätte für jene, die einst von der Gesellschaft und den religiösen Institutionen ausgeschlossen worden waren.


Suizid als gesellschaftliches Tabu

Der Selbstmörderfriedhof in Berlin war jedoch nicht nur ein Symbol für den Tod, sondern auch für die gesellschaftlichen Ansichten seiner Zeit. Suizid wurde damals nicht als eine Folge von psychischen Erkrankungen oder extremer Not angesehen, sondern als moralisches und religiöses Vergehen. Diese Sicht führte dazu, dass die betroffenen Menschen und ihre Familien nicht nur in der Trauer, sondern auch in der Schande lebten. Ein Begräbnis auf einem „Selbstmörderfriedhof“ war ein Stigma, das auch die Hinterbliebenen lange begleitete.

Die Menschen, die hier bestattet wurden, hatten oft keine Grabsteine, keine Namensplaketten – sie wurden in anonymen Gräbern beigesetzt, damit ihre Namen und Taten in Vergessenheit gerieten. Dies war eine Zeit, in der es den Hinterbliebenen oft verwehrt war, öffentlich zu trauern oder den Verstorbenen zu gedenken. Der Tod durch Suizid war ein öffentliches, aber unausgesprochenes Geheimnis.


Wandel der Gesellschaft und des Umgangs mit Suizid

Mit der Zeit änderte sich jedoch der gesellschaftliche Umgang mit dem Thema Suizid. Der medizinische Fortschritt, die Erkenntnisse über psychische Erkrankungen und der Wandel in der gesellschaftlichen Wahrnehmung führten dazu, dass Menschen, die sich das Leben nahmen, nach und nach anders gesehen wurden. Die Stigmatisierung und Ächtung, die sie in früheren Jahrhunderten erlebten, begann zu schwinden.

Auch der Selbstmörderfriedhof veränderte sich. Der Begriff selbst verschwand aus dem Sprachgebrauch. Der Ort, der einst für die Verbannten des Todes reserviert war, ist nun ein öffentlicher Raum der Erinnerung, der Mahnung und des Respekts. Heute können Besucher an diesem Ort innehalten und sich an das Schicksal derer erinnern, die hier ihre letzte Ruhe fanden.

Obwohl die meisten Gräber anonym blieben, existiert der Friedhof als stiller Zeuge einer Zeit, in der das Verständnis von Suizid noch sehr begrenzt war. Er erinnert daran, wie sich der Umgang mit Suizid und psychischen Erkrankungen in der Gesellschaft verändert hat. Aus einem Ort der Verstoßung wurde ein Ort des Nachdenkens, an dem die Bedeutung von Mitgefühl, Verständnis und gesellschaftlicher Verantwortung immer präsenter wird.


Der heutige Besuch des Selbstmörderfriedhofs

Die Geschichte dieses Ortes ist noch immer spürbar. Der Grunewald, der ihn umgibt, ist ein Ort der Erholung und des Gedenkens zugleich. Für viele Menschen ist der Besuch des ehemaligen Selbstmörderfriedhofs ein Moment der Reflexion über Leben, Tod und die gesellschaftliche Verantwortung im Umgang mit psychischen Krankheiten.

Hier wird deutlich, wie wichtig es ist, über Suizid und psychische Gesundheit offen zu sprechen, um die Stigmatisierung zu überwinden und Verständnis für die Hinterbliebenen und Betroffenen zu schaffen. Der Friedhof steht als Mahnmal dafür, dass niemand vergessen werden sollte, unabhängig davon, wie sein oder ihr Leben endete.


Fazit: Ein Ort des Nachdenkens und Gedenkens

Dieser Friedhof, der sogar als "Schandacker" bezeichnet wurde ist nicht nur ein Stück Berliner Geschichte, sondern auch ein Symbol für den Wandel der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Suizid und psychischen Erkrankungen. Er zeigt uns, wie weit wir gekommen sind, aber auch, wie viel Arbeit noch vor uns liegt, um die Stigmatisierung von Menschen, die durch Suizid aus dem Leben scheiden, vollständig zu überwinden.

Dieser Friedhof, der einst für die Ausgegrenzten und Vergessenen reserviert war, erinnert uns daran, dass jeder Mensch, unabhängig von seiner Lebensgeschichte, Respekt, Mitgefühl und ein würdiges Gedenken verdient. Ein Besuch an diesem Ort lädt dazu ein, über die Bedeutung von Leben und Tod nachzudenken und die gesellschaftliche Verantwortung im Umgang mit diesen Themen anzunehmen.


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