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Wo Worte fehlen, finden wir sie gemeinsam

Auszug aus der Trauerrede zur Bestattung von Dr. Jörg Gölz am 11.7.2023

(Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Familie)

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Wenn Sie jetzt für einen kurzen Moment Ihre Augen schließen und an Jörg denken, dann können Sie ihn hören, vielleicht auch sehen oder fühlen.

Und, wenn Sie in Ihrer Erinnerung nach der richtigen Situation suchen, dann werden sich einige von Ihnen in einem Moment wiederfinden, in dem Sie Jörg als Familienmitglied, Berufskollegen oder Freund dabei beobachten, wie er in seine kleine Kaffeetasse einen großen Löffel Aldi-Pulverkaffe, zusammen mit vier Löffeln Zucker aufgoss, um sich dann dem Genuss des Momentes hinzugeben, natürlich nicht ohne eine Zigarette dabei zu rauchen.

Jörg liebte es schon, seit seinem 13ten Lebensjahr zu rauchen. Er liebte es so sehr, dass er sogar gegen die Stigmatisierung der Raucher zu Felde zog und in öffentlichen Talk-Runden Stellung bezog.

Als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin, der keinesfalls die Gefahren und Folgen des Rauchens kleinreden wollte, publizierte er dazu seine deutliche Meinung im Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt: „Der allgemeine Gesundheitswahn hat das Denkvermögen weggespült“, schrieb er.

Sie, liebe Bärbel, erinnern sich noch gut an diesen erfrischend, ermutigenden, unerschrockenen und unangepassten Menschen, mit dem Sie Ihre Nikotinsucht teilten,  wie er auf einer Tagung, während einer Podiumsdiskussion sichtlich gelangweilt einfach aufgestanden ist, um zu gehen. Der äußerst perplexe Moderator fragte Jörg, wo er denn hin wolle. Jörg antwortete ganz trocken: „Sie stellen mir keine Frage, dann kann ich auch rauchen gehen“.

Andere von Ihnen werden sich sicherlich an den Jörg erinnern, der groß, schlank, immer korrekt im Maßanzug gekleidet, sich immer irgendwie der Arbeit hingegeben hat und der selbst eigene Veranstaltungen und Feiern vorzeitig mit dem Hinweis verlassen hat, dass er zurück an den Schreibtisch müsse.

Jörg liebte den großen Auftritt aber wenn er nicht im Mittelpunkt stand, dann fiel es ihm manchmal schwer zu bleiben und dann zog er sich gerne zurück. Allerdings nicht zum Arbeiten, sondern zum Lesen.

Diese Angewohnheit hat Jörg wohl von seinem Vater übernommen. Überhaupt haben ihm die Eltern, das immense Interesse an Politik, Kultur und Philosophie mit auf seinen Lebensweg gegeben. Jörgs Vater war Filmkritiker, arbeitete am Theater und die Mutter war Redakteurin bei der Stuttgarter Zeitung.

So überrascht es nicht, dass Ihr Lebenspartner, liebe Astrid, sich morgens erst mal vier Zeitungen von Ihnen hat bringen lassen, die er den Vormittag über studierte. War es Montag, kam noch die Lektüre des aktuellen Spiegel hinzu und Jörg war über Stunden hinweg schlicht nicht ansprechbar.

Das war schon so, als Jörg studiert hat.
 

Sie, liebe Ingrid, erzählen von ihrem Ex-Mann, den Sie im Medizinstudium kennengelernt haben, dass sie sich oft Ende der 60er Jahre mit Freunden in der Mensa zum Essen getroffen haben, um dort bis zum frühen Abend wilde politische Diskussionen zu führen.

Sehr gut informiert zu sein und sich schnellst möglich eine eigene Meinung zu den unterschiedlichsten Themen zu bilden  war Jörg wichtig und Teil seines bunten Charakters.

Gepaart mit seinem umfassenden Interesse und wirklichem Verständnis alter und neuer Philosophie, legte dieses Selbstverständnis den Grundstein seiner kraftvollen und charismatischen Vorträge, Statements und Beiträgen in Wort und Schrift, die Freunde, Kollegen und Zuhörer einerseits in den Bann gezogen haben und andererseits Türen zu neuem Denken eröffnet haben.

Des Weiteren beschreibt die Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte „Kaum einer unter uns hat medizinische Fakten so gerne in einen größeren Kontext gestellt, mal politisch, mal philosophisch und immer zutiefst humanistisch, wie Jörg“.  

Es war Jörgs unabdingbarer Zugang zum Menschlichen, der ihn beruflich, wie privat ausmachte, Kollegen geprägt hat und ihm die Herzen zufliegen ließ. Jörgs Richtschnur für sein eigenes Handeln war stets sein zutiefst humanistisches Welt- und Gesellschaftsbild. Aber nicht nur das. Jörg ließ sich von seinen eigenen extremen Erfahrungen leiten, die ihn fast seinen Beruf als Mediziner gekostet haben. Sie, liebe Gabriela, erzählen von Ihrem Zwillingsbruder, wie er mit 16 vom Vater regelmäßig Preludin entwendet hat. Es handelte sich um einen Appetitzügler, der zu den Amphetaminen und Morpholinen gehörte, die man den Soldaten gab. Das war der Anfang seiner eigenen Suchtgeschichte, die ihn bis zur regelmäßigen Einnahme von Fentanyl führte, das 80 Mal stärker ist als Morphin.

Als Notarzt konnte er seine Sucht gut kaschieren und er erzählte in den Jahren danach, wie er immer verschiedene Apotheken in Berlin angefahren ist, damit seine Einkäufe nicht aufgefallen sind.

Sie, Gabriela, erzählen, dass Sie sich noch gut erinnern, wie er eines Tages vollkommen abgemagert vor Ihrer Tür stand.

Jörg war über viele Jahre hinweg abhängig, ein Suchtkranker. Auch als er seine Doktorarbeit 1973 schrieb, in der es um Suchterkrankungen bei Jugendlichen ging, konsumierte Jörg Captagon und vieles mehr und profitierte von seiner eigenen Suchterkrankung und einem tiefen Verständnis dafür, was sich in einem Menschen abspielt, der eine Drogenabhängigkeit entwickelt .

Seine eigenen Erfahrungen prägten schlussendlich seine spätere Arbeit und seinen Einsatz gegen die Stigmatisierung von Suchterkrankten. Er kämpfte laut und voller Emotion für ein Umdenken und konnte mit seiner Arbeit beweisen und bewirken, dass der Griff zu Rausch- und Betäubungsmitteln keine Charakterschwäche ist, sondern in ihrer Wirkung einer Selbstbehandlung seelischer Qualen gleichkommt und deshalb zu einer Erkrankung führt, nämlich der Suchterkrankung.

Folglich musste der bisherige Behandlungsansatz völlig neu gedacht werden.

Doch welche eigenen seelischen Qualen Jörg angetrieben haben, wird wohl immer sein Geheimnis bleiben.

Aber bis sich neue Behandlungsmethoden etablieren sollten, hatte Jörg noch einen weiten eigenen Suchtweg vor sich, der erst mit der Anzeige durch eine Berufskollegin, die ihm auf die Schliche kam, sein Ende fand.

Jörg äußerte sich oft darüber, wie dankbar er ihr dafür war. In Folge musste er den langwierigen Weg der Entgiftung und des Entzuges gehen und durfte erst mal nicht mehr als Mediziner arbeiten.

Als er seinen Beruf wieder nachgehen durfte, war es schon fast ein schicksalhafter Glücksfall, dass er über einen Vater aus dem Kindergarten, direkt in Zehlendorf eine Anstellung als Arzt bekam.

Jörg musste in Folge mindestens fünf Jahre lang Drogenfrei sein, bis er sich als Arzt mit eigener Praxis niederlassen durfte.

Als niedergelassener Allgemeinarzt begann Jörg im Sommer 1986, nicht weit vom Bahnhof Zoo entfernt seine neue Tätigkeit.

Von seinem Vorgänger übernahm Jörg 14 HIV infizierte Patienten, die sich allesamt Sorgen darüber machten, ob sie bei ihm bleiben durften. Viele Ärzte verweigerten damals HIV Patienten die Behandlung. Bei Jörg durften sie bleiben. Das sprach sich rum und so entwickelte sich seine Praxis zu einer der ersten HIV Schwerpunktpraxen in Berlin.

In der Behandlung von Drogenabhängigen Patienten war Jörg voll und ganz dem schulärztlichen-Abstinenz-Dogma verhaftet. Aber mit all seinen enttäuschenden Erfahrungen in der stationären Abstinenztherapie, wollte Jörg in seiner Praxis gar keine Drogenabhängigen mehr behandeln.

Deshalb biss der Mitarbeiter der Berliner Aidshilfe, der auf der Suche nach einem Arzt war, der HIV-Infizierte Drogenabhängige substituieren würde auf Granit und ein deutliches „Nein“.

Jörg sagte dazu „Die Verordnung von Opiaten an Opiatabhängige war für mich ein ärztlicher Kunstfehler und nur in extremen medizinischen Notsituationen kurzfristig gerechtfertigt“.

Gott sei Dank ließ dieser Mitarbeiter nicht locker. So beschreibt Jörg in seinem Artikel „Ein kleines Mädchen bricht medizinische Ideologie“:

Um das Patt unserer Argumente für und wider der Substitutionstherapie zu überwinden, führte er die Lebenswirklichkeit ein. Er stellte mir in den folgenden Tagen in meiner Praxis eine HIV-infizierte Frau vom Drogenstrich vor, die nebenbei zur Geldbeschaffung auch Pelzmäntel aus Kaufhäusern stahl. Sie hatte eine verwahrloste 5-jährige Tochter bei sich, die im November angezogen war, als sei Hochsommer. Die ausweglose und medizinisch gefährliche Lage dieser Frau war offensichtlich durch eine weitere Abstinenztherapie nicht zu heilen. Das Mädchen kam an meinen Stuhl, fasste meinen Oberschenkel an und fragte: „Hilfst du der Mama?“

Ich stellte mir meine eigenen Töchter in solch einer Lage vor. Nach einer schlaflosen Nacht entschloss ich mich am nächsten Tag in diesem einen Fall zu dem Versuch einer Opiatverschreibung.

Und damit änderte sich für Jörg sein komplettes berufliches Leben und es setzte ein Umdenken ein, für das er in den folgenden Jahren voller Zorn gekämpft hat.

Der Frau ging es rasch besser und ohne den Stress der Prostitution und mit Hilfe psychosozialer Unterstützung konnte sie ihr gesamtes Leben neu ordnen, fand einen Job als Sekretärin und auch ihr HIV- Status wurde deutlich besser.

Aus dem kleinen Mädchen wurde eine Veranstaltungskauffrau und beiden geht es heute wohl gut.

Doch Jörg holte die Wirklichkeit ein. Man schrieb ihm, dass durch die Verordnung sehr großer Opiatdosen an einzelne Personen er in Verdacht geraten sei, Drogenabhängige mit Opiaten zu versorgen. Dieses ärztliche Verhalten könne zum Entzug der Approbation führen. Jörg war wütend und außer sich vor Zorn. Er schrieb: „Die Prohibition versuchte also bis in die Arztpraxis hinein zu regieren. Das wollte ich mir nicht gefallen lassen.

Hier begann mein langjähriger Kampf darum, die Substitutionstherapie als gleichwertige Behandlung neben der Abstinenztherapie zu etablieren. Diese Auseinandersetzung bestimmte über viele Jahre mein weiteres berufliches Leben, obwohl ich am Anfang nichts damit zu tun haben wollte“.

Am 6. Februar 2014 wurde Jörg für seinen erfolgreichen Kampf für die Substitutionstherapie das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen, weil er es geschafft hat einen suchttherapeutischen Paradigmenwechsel zu bewirken.

Sie, Ingo, sagen dass Jörg alle heißen Themen mit großer Offenheit angefasst hat und seine Schwerpunktpraxis für alle diskriminierten Menschen, ob queer oder drogenkonsumierend offen war.

Sie, Winfried, beschreiben Ihren Arzt als solchen, den man sich wünscht: schnörkellos, knapp, offen aber immer voller Zuwendung.

Sein Kollege Gerd, fasst zusammen, was viele Berufskollegen über Jörg sagen: „Du warst der einzige echte medizinische Lehrer für mich und dafür bin ich Dir sehr dankbar. Dein Mutz, Deine Toleranz und Deine Vorurteilslosigkeit haben mich nachhaltig beeindruckt und mein Leben, auch als Arzt, geprägt.

Und Sie, lieber Holger, bringen wohl auf den Punkt, was heute viele Menschen denken: „Wir sind diesem Aktivisten für Selbstbestimmung und Würde sehr dankbar und werden sein Andenken in Ehren halten.
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Lassen Sie an dieser Stelle Ihren bunten Erinnerungen an Jörg, bei etwas Musik ihren freien Lauf.

MUSIK
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Sie, lieber Christoph und Hans, sagen, dass man mit Jörg auch herrlich über den rechten Weg und die richtige Strategie streiten konnte. „Leidenschaft zeichnete dich aus! Leidenschaftlicher Einsatz und leidenschaftliche Positionierung in dem, was Dir wichtig und richtig erschien und was Du, zu Deinem Thema gemacht hast.“

Also ich glaube, wenn ich in meinem Vorgespräch zu dieser Rede richtig zugehört habe, dass dieses vorangegangene Statement zu Jörgs Leidenschaft,  von seinen vier Ehefrauen Ingrid, Martina, Alexandra, und Solange, als auch Ihnen, liebe Astrid, als Lebensgefährtin der letzten 10 Jahre, vermutlich genauso unterschrieben werden kann.

Privat war Jörg so leidenschaftlich und emotional, wie beruflich, was in seiner etwas extremen Ausprägung und seiner mangelnden Impulskontrolle auf Dauer nicht jederfraus Sache war.

Sie, liebe Ingrid, lernten Ihren Mann bei einer Pokerrunde unter Studenten kennen. Damals hatte er den Spitznamen Graf Stress. Jörg verlor das Spiel und flippte total aus. Auch Sie, liebe Gabriela, erinnern sich, wie Ihnen ein Lineal von ihrem Bruder an den Kopf geworfen wurde, weil Sie zufällig mal gewonnen haben.

Nachdem Jörg sich wieder beruhigt hatte, lernten Sie, Ingrid, einen sehr netten, umgänglichen und liebenswerten jungen Mann kennen, den Sie einige Jahre später geheiratet haben und der Vater Ihrer zwei Töchter wurde.

Natürlich war es auch eine Liebesheirat aber Sie nützte auch Ihren gemeinsamen Plänen, denn nur als Eheleute bekamen sie damals die 9 Zimmer Villa mit Pool in Lichtenrade, in der Sie zusammen, als Wohngemeinschaft mit sechs anderen Mitbewohnern und drei Kindern einzogen.

In Sachen spielen und verlieren gab es auch für Sie, liebe Hannah und Greta, keinen Kinderbonus. Wenn Sie nicht schnell genug waren beim Doppelkopf-Spiel oder gar die falsche Karte zogen, war Ihr Vater extrem ungehalten. Auch seine Ungeduld war ein fast unberechenbarer Faktor, der schnell zu hitzigen Momenten führen konnten.

Dafür hat die harte Schule Jörgs, in Sachen Kartenspielen, dafür gesorgt, dass sie die abgebrühtesten Doppelkopf-Runden der Welt mit links überstehen.

Es hat eine Weile gedauert, bis Jörg mit Ihnen als Kinder etwas anfangen konnte, weil Kleinkinder nicht so wirklich sein Fall waren. Bei der Geburt seiner Töchter, als Sie, Ingrid, sich im Krankenhaus abmühten, saß Jörg zu Hause und hat Valium genommen, so aufgeregt war er.  Später legte er den Großteil der Erziehung vertrauensvoll in Ihre Hände, bis seine Töchter alt genug waren, sich mit ihm auseinander zu setzen.

Als Vater war Jörg auf der einen Seite sehr ungeduldig und sehr unruhig, sagen Sie, Hanna. Aber er war auch lustig, immer sehr ehrlich und äußerst fantasievoll. So wurde ihre Kindheit von seinen Geschichten um den kleinen Herrn Schmidt begleitet, der hinter der Teppichbodenleiste in Jörgs Wohnung lebte. Herr Schmidt kam nur raus, wenn Jörg nicht zu Hause war und liebt es, sich vor dem Standspiegel in großen Posen zu üben. Wenn gestaubsaugt wurde, musste Herr Schmidt allerdings ganz schnell seine Möbel festbinden.

Jörg war ein super liberaler Vater, der keinerlei Grenzen gesetzt hat. Er sagte immer: Probiert alles aus, ihr müsst Erfahrungen machen. Er hatte stets ein großes Vertrauen und das Grundgefühl, dass Sie das alles hinbekommen werden.

Er hat immer viel mit Ihnen beiden unternommen, hat Ihnen das Schwimmen beigebracht, ist mit Ihnen zum Rodeo oder zum Gauklerfest nach Zehlendorf gefahren, ist mit Ihnen in den Urlaub und natürlich ging beim Ihrem Vater all das, was bei Ihrer Mutter nicht ging. 

Aber es gab auch Sachen, die gar nicht gingen. So erzählen Sie, Greta, dass er fuchsteufelswild wurde, wenn Sie seine Schere genommen haben oder generell etwas vom Schreibtisch nahmen. Eines Tages hat er die Schere sogar angekettet.

Genauso sauer konnte Jörg werden, wenn sie ihn warten ließen und unpünktlich oder zu langsam waren. Dann bellte er Ihnen regelmäßig ein knackiges „zack zack“ entgegen.

Und, wie das so ist mit Vätern, hat er sich manchmal auch gnadenlos selbst überschätzt und damit Ihre Bekanntheit in der Grundschule,  drastisch von einem Tag auf den anderen, erhöht.

Jörg hat sich nämlich einen Langhaar-schneider gekauft und war sich sicher, dass Sie von nun an keinen Friseur mehr benötigen würden. Er legte Hand an Ihr Haar und in Folge liefen Sie beide einige Wochen mit fünf Millimeter kurzen Haaren durch das Leben.

Und dann kam der Tag, als sich Jörg allergrößte Sorgen um sich, seine Kinder und seine Liebsten machte, als er eines Morgens einen bedrohlichen dunklen Fleck auf seinem Arm entdeckte, der aussah, wie ein Karzinom.

Was tun Mediziner in solch einem Notfall? Er legte sich Skalpell, Tupfer, Pinzette, Nadel, Nähzeug – also alles was es braucht, um den bösen Fleck operativ zu entfernen, zu Recht. Er meinte es wirklich ernst damit und begann seinen Arm für die notwenige Operation  vorzubereiten. Danach packte er den Rasierer und entfernte alle seine Haare und oh Wunder, das vermeintliche Karzinom war weg. Ups - vertan, verguckt – was auch immer.

Sicherlich hatte ihr Vater Macken und war nicht immer perfekt aber Sie sagen, dass er einzigartig in seiner Liberalität war und Sie ohne Beschränkung von außen, sich mit viel Unterstützung entfalten konnten. Selbst Ihre Freunde schätzten an ihrem Vater, dass man mit ihm ohne Tabus über alles reden konnte und wenn mal einem von ihnen das Dach über dem Kopf fehlte, war Ihr Vater da und bot einen Schlafplatz an. Zudem war Ihr Vater sein Leben lang, bis zu seinem Tod, ein wirklich großzügiger Mann, der viele Menschen um Ihn herum mit großherzigen Summen regelmäßig unterstützt hat.

Vor 30 Jahren hat sich Ihr Vater in Banzendorf ein Wochenendhaus gekauft, das er zu einem wunderbaren Ort für die gesamte Familie gemacht hat. Selbst wenn Sie mit 15 Freunden dort auftauchten fand jeder eine Nische zum Schlafen.

Dieses Haus war auch ein Rückzugsort für Jörg, wenn er keine aktuelle Partnerin hatte. Dann fuhr er raus und hat sich mit Holzarbeiten und Modellbau abgearbeitet und wieder etwas Energie geschöpft. Es ist noch nicht lange her, da sagte er Ihnen, Hannah und Greta, dass er durch dieses Haus  immer mit seinen Kindern verbunden sein wird.

In den vergangenen zehn Jahren, waren Sie, Astrid seine Lebensgefährtin mit der er Jörg ein Glück erfuhr, das er selbst nicht fassen konnte. Er erzählte schon einen Tag nach ihrem ersten gemeinsamen sechs Stündigen Gespräch, seinen Töchtern, was er für eine bemerkenswerte Frau kennengelernt hatte. Am Ende jenes Abends hatte er Hunger und Sie bezirzten Ihn quasi mit einer heißen Bockwurst. Liebe, die in diesem Gespräch ihren Anfang nahm, geht ja bekanntlich durch den Magen.

Trotzdem war Ihnen sein angebotenes Du viel zu nah, dabei spürten Sie schon an diesem Abend eine richtungsweisende Nähe, die in den darauffolgenden Monaten zu einer intensiven Liebe wurde.

Sie mochten seine Herzlichkeit, seine Umarmungen und dass Sie immer viel miteinander geredet haben und noch viel wichtiger, extrem viel zusammen lachen konnten.

Sie haben sich ihre Freiräume gelassen, er hatte alle Zeit der Welt zum Lesen oder um seine Vorträge vorzubereiten, die er logisch, einleuchtend, mit gut verständlichen und oft zu Herzen gehenden Beispielen durchsetzt und mit viel spürbarer und visionärer Weite und natürlich voller Emotionen und mit viel Liebe für seine Themen vorgetragen hat.

 

An dieser Stelle ist noch zu erwähnen, dass niemand Lust darauf hatte, nach Jörg an ein Rednerpult zu treten, weil man in seinem anhaltenden Rednerschatten einfach untergegangen ist.

Generell heben auch Sie, Hannah und Greta, hervor, dass Jörg immer schon unglaublich gut die Welt erklären konnte, ganz gleich mit welcher Frage man ankam.

Mit Ihnen, Astrid, konnte Jörg sein Glück nicht fassen. Dass er mit über 70 nochmals so eine große Liebe finden würde, war wahrlich eine große Überraschung – für Sie beide.

Sie haben sich perfekt ergänzt und jetzt, wo Jörg in vielerlei Hinsicht zur Ruhe gekommen ist, wollt er sein Leben genussvoll, mit Ihnen an der Seite ausklingen lassen.

Wenn ein Mensch von uns geht und man nicht die Möglichkeit hatte, ihn zu halten, zu retten oder im Sterben zu stützen, wird man sich der großen Machtlosigkeit bewusst, der wir alle jede Sekunde des Tages ausgeliefert sind......

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